Coffee-Date Nr. 15 von Hiobsbotschaften und Medical Gaslighting

Spoiler: Nach einer Schreckensnachricht habe ich nun doch keine weitere unheilbare Krankheit namens Multiple Sklerose. Um die und um den neudeutschen Begriff „medical gaslighting“ soll es in diesem Coffee-Date gehen. Aber Warnung, das hier ist ein langer Artikel und ziemlich persönlich. Es wird dabei nur am Rande ums Backen gehen. Wenn du darauf keine Lust hast, dann gerne ein anderes Mal oder gar nicht. Aber lass uns von Vorne anfangen. Am 24. Oktober bekam ich folgende Hiobsbotschaft per MRT-Befund: „Einzelne wenige periventrikuläre T2 hyperintense Läsionen als möglicher Hinweis für eine multiple Sklerose.“ Schon mal was von MS gehört? Multiple Sklerose ist eine Entzündung des zentralen Nervensystems, eine chronische, aber nicht ansteckende Autoimmunkrankheit, die nicht heilbar ist und meist in Schüben verläuft und sich meist im Laufe der Zeit verschlimmert. Auch wenn sich offensichtlich so einiges in den letzten Jahrzehnten getan hat und bei vielen die Krankheit durch Medikamente gut in den Griff zu bekommen ist, ist sie immernoch nicht heilbar. Da diese Krankheit das Nervensysten betrifft, gibt es zahlreiche verschiedene Symptome. Nicht umsonst wird sie die Krankheit der 1.000 Gesichter genannt.

Die Crux an der Diagnose von MS ist, dass man diverse Untersuchungen vornehmen muss, bis die Diagnose als gesichert gilt. Das MRT ist nur ein wichtiger Baustein, ein weiterer ist die sogenannte Lumbalpunktion, die Entnahme von Nervenwasser im Rückenmark. Natürlich hat mir das nicht mein Neurologe erklärt, als wir den Befund besprachen, sondern ich musste selbst recherchieren. Als ich ihn dann fragte, ob er diese zweite wichtige Untersuchung durchführen könne, winkte er ab. Auf Rückfrage, ob er mir denn Namen nennen könnte zwecks Terminierung, konnte er mir auch nicht helfen. Also musste ich mir auf eigene Faust eine Einrichtung suchen, die das Prozedere durchführte. Vielleicht kann man sich vorstellen, dass ich ziemlich durch war, als ich mit diesem Verdacht konfrontiert wurde samt komplett inkompetenten Neurologen, der mir in keinster Weise helfen konnte. Natürlich wollte ich nun wissen, ob ich MS habe oder nicht. Einen Tag nach Verdachtsäußerung haben mein Mann und ich uns spontan freigenommen und sind an den Schliersee bzw. Spitzigsee gefahren. Ich musste irgendwie den Kopf freikriegen. Wir sind zur Albert-Link-Hütte gefahren, nicht umsonst wird gesagt, dass es dort den besten Kaiserschmarrn gibt. Ich brauchte einfach ein bisschen Natur und frische Luft, bevor ich wieder in den Gedankenkreisel geriet. Da der Herbst sowieso meine liebste Jahreszeit ist, habe ich trotz allem den Ausflug sehr genossen.

Am Folgetag hatte ich dann genügend Kraft gesammlt, um diverse Kliniken anzurufen. Ich landete immer wieder in der Warteschleife und wurde per Automat gefragt, ob ich gesetzlich versichert sei oder nicht. Bei einigen hing ich mehr als eine Viertelstunde in der Warteschleife, nur um zu erfahren, dass sie diese Untersuchung nicht durchführen. Teilweise waren sie Monate im Voraus ausgebucht. Aber irgendwann wurde ich schließlich fündig und konnte innerhalb von zwei Wochen diese wichtige Untersuchung durchführen. Was jetzt so einfach klingt, hat mich einiges an Stunden am Telefon gekostet und diverse E-Mails als auch nervliche Kraft. Ich frage mich, wie das Menschen schaffen, die nicht so hartnäckig wie ich und mental geschlaucht sind. Die müssen dann monatelang warten, was bei MS kritisch sein kann, supi. Was für ein blödes Zwei-Klassen-System. Ich bin mir sicher, wäre ich privat versichert, hätte ich nicht so lange warten müssen.

Für die Nervenwasseruntersuchung musste ich stationär ins Krankenhaus. Also habe ich meine Lieblingscookies gebacken und meinen Mann gebeten bei meiner Rückkehr leckere Hühnersuppe parat zu haben. Während der zwei Wochen Wartezeit verfiel ich ins Stressbacken, es gab süße Lebkuchenhäuschen, da war noch nicht mal Halloween durch, aber es war mir egal. Dann habe ich Pastafrola, die Linzertorte aus Uruguay gemacht und auch gleich noch Brownie-Cookies, weil ich als Chocoholic ein wenig Nervennahrung brauchte. Die zwei Wochen waren hart, aber irgendwie habe ich auch die rumgekriegt. Sport und backen, das hat mich abgelenkt.

Chocolate-Chip-Cookies im Krankenhaus; es war eine gute Entscheidung die vorher zu backen

Und dann, das muss man ihnen lassen, haben sie im Krankenhaus neben der Nervenwasseruntersuchung noch weitere Untersuchungen durchgeführt, um MS auszuschließen. Ich weiß jetzt auch, dass ich nicht Borreliose habe. Natürlich musste ich auch im Krankenhaus den Ärzten hinterhertelefonieren, bis ich endlich alle Ergebnisse nach drei Wochen hatte, aber nun weiß ich es final, MS habe ich definitiv nicht. Natürlich bin ich erleichtert keine weitere chronische Krankheit neben der Endometriose zu haben, aber mich regt es einfach immer wieder und wieder auf, dass Ärzte alles auf die Psyche schieben und mich nicht ernst nehmen. Sowas nennt sich „medical gaslighting“. Besonders schlimm war der erste Neurologe, den ich anbetteln musste, dass man einen MRT durchführt und der die Dreistigkeit hatte mir den Befund mit Verdacht auf MS vorzulesen ohne sich für sein Verhalten zu entschuldigen. Beim ersten Termin, bei dem ich um das MRT bettelte, verabschiedete er sich mit den Worten „Sie haben nichts, der MRT ist eine Verschwendung!“ und überreichte mir zeitgleich die Überweisung zum MRT. Dass er das gesagt hatte, während er mir den MS-Verdacht vom MRT-Bericht vorlass, war ihm offensichtlich komplett entfallen. Herzlichen Dank aber auch. Selbst im Krankenhaus, in dem ich wirklich auf viele neurologische Phänomene untersucht wurde, legte man mir nahe, mich psychologisch umzusehen, weil sie zu keinem Ergebnis kamen. Nur weil es nicht neurologisch ist, heißt das noch lange nicht, dass da auch wirklich nichts ist. Das habe ich auf die harte Tour gelernt. Bei der Endometriose hieß es auch lange, das bilde ich mir ein, nach ein paar Jahren stellte man einen Vitamin-D-Mangel fest, sonst nichts. Als man dann Zysten entdeckte, die operativ per Bauchspiegelung entfernt werden mussten, stellte man fest, dass ich viele Endometriose-Herde im Bauchraum wuchern hatte, huch, ach ja, ist ja nicht so, dass ich das nicht immer wieder diverse Symptome angesprochen hätte. Ein paar mehr Infos zur Endometriose gibt es hier.

Warum glauben einem Ärzte nicht, wenn man sagt, dass man Beschwerden hat? Warum ist das angeblich alles immer psychisch bedingt? Es macht mich unfassbar wütend. Einmal bin ich bei einer Frauenärztin mitten im Behandlungsgespräch aufgestanden und bin einfach gegangen. Sie meinte Erschöpfung/Müdigkeit wäre kein Symptom von Endometriose. Ja, genau. Dabei ist es wissenschaftlich erwiesen und wird von vielen Frauen als noch belastender empfunden als die Schmerzen. Ich bin in dem Gespräch einfach aufgestanden, weil ich es mittlerweile satt habe. Wenn ein Arzt mir nicht glaubt, wenn ein Arzt meine Symptome abtut, dann kommen wir eben nicht zusammen, so einfach ist das. Deshalb stand ich einfach auf. Sie wurde kreidebleich und fragte, was los sei. Ich erwiderte, sie könne mich aus ihrer Patientinnendatei streichen, wenn sie mir nicht glaube, brauche ich nicht mehr zu kommen. Sie schrieb mir hinterher sogar eine Postkarte, in der sie sich entschuldigte und mich bat nochmal zu kommen. Ich finde es unfassbar traurig, dass man so rigoros vorgehen muss, damit Ärzte einen endlich ernst nehmen. Ich bin natürlich nicht zu dieser Frauenärztin zurückgekehrt, aber ich hoffe, dass sie mal ein bisschen Recherche betrieben hat zu Symptomen bei Endometriose. Ist ja nicht so, dass diese Krankheit super selten ist und man das noch irgendwie verzeihen könnte. Ist ja auch nicht so, dass eine Frauenärztin von einem Frauenleiden Ahnung haben sollte.

Ich habe mittlerweile unzählige Geschichten gehört, bei denen insbesondere Frauen von Ärzten nicht ernstgenommen wurden. Wie auch in meinem Fall ist dabei das Geschlecht des Arztes irrelevant, auch Ärztinnen scheinen da nicht ausgeschlossen zu sein. Oft erzählen mir Betroffene, dass sie sich nicht trauen würden den Ärzten Paroli zu bieten wie ich es gemacht habe. Ich war noch nie sonderlich beeindruckt von Rang und Namen. Eine Autorität mache ich nicht am Titel fest. Natürlich hilft mir das in solchen Situationen. Ich kann jedoch nur hoffen, dass mehr und mehr Frauen einfordern ernst genommen zu werden. Nein, wir bilden uns das nicht ein, nein, das ist nicht psychisch, die Beschwerden sind körperlich und sehr real. Wenn ein Arzt dir das nicht abnimmt, dann such dir einen anderen. Wenn ein Arzt bezweifelt, dass irgendeine Untersuchung Ergebnisse liefert, dann bestehe darauf, dass sie trotzdem gemacht wird. Und wenn der Arzt dich dann immer noch belächelt, dann geh nicht mehr hin. Ich habe das große Glück in einer Großstadt zu wohnen. Hier habe ich Ärzteauswahl, also mache ich davon Gebrauch. Aber das wird mich wieder viel Kraft kosten und ich wünschte, ich müsste es nicht. Natürlich werde ich mir einen neuen Neurologen suchen. Auch wenn ich glaube, dass ich den nicht so bald brauchen werde. So lange werde ich einfach wie unser Hund Hazel auf dem Titelbild schlafen und ganz viel Kraft tanken. Oder aber ich mache einen Kaiserschmarrn mit Glühweinkirschen.

Kaiserschmarren mit GlühweinkirschenKaiserschmarrn mit Glühweinkirschen

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2 Kommentare

  • Antworten
    Anne
    Sonntag, der 3. Dezember 2023 at 11:41

    Liebe Jenny
    Viel Kraft und alles Liebe von Frau zu Frau!
    Herzliche Grüsse
    Anne

    • Antworten
      Jenny
      Sonntag, der 3. Dezember 2023 at 12:28

      Danke dir, mittlerweile überwiegt auch die Freude.

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